#D98KSV: „Vielleicht war der Umbruch unser ‚Glück im Unglück'“

Die Störche sind im Anflug. Vor der Saison noch als heißer Abstiegskandidat gehandelt, ließen die Kieler zum Auftakt mit einem 3:0 beim großen HSV aufhorchen und sind seither nie außer Tritt geraten. Rang 5 ist der Lohn für ihre mutige Spielweise. Das 4:2 in der Hinrunde führte dies eindrucksvoll vor Augen. Trotz langer Unterzahl konnte die KSV in Halbzeit 2 gegen bemühte aber harmlose Lilien noch den Deckel drauf machen. Es bleibt zu wünschen, dass der SVD am Samstag vor eigenem Publikum und mit neuem Trainer bessere Antworten als damals geben kann.

In 98 Worten

Die Spannung war groß vor dem Premierenspiel von Dimitrios Grammozis in Bielefeld. Wie würden die Blau-Weißen in Spiel 1 nach Dirk Schuster auftreten? Mutig? Befreit? Not quite! Die 98er kassierten gegen spielerisch bessere Arminen eine verdiente 0:1-Niederlage. Während die Gastgeber von Anfang an ihren Matchplan durchzogen, waren die 98er zum Reagieren gezwungen. Den Verantwortlichen der KSV wird nicht entgangen sein, dass man dem SVD mit konsequentem Pressing bestens beikommt. Keine Frage, Grammozis benötigt Zeit, um seine Vorstellungen umzusetzen. Und dennoch war es ein wenig enttäuschend, dass das Team in Bielefeld kein anderes Gesicht zeigte und nicht befreiter auftrat.


Der Kontrahent hat das Wort

Über die KSV spreche ich mit Frauke, Matthias und Martin vom Holstein- und Hopperblog Calcio Culinaria, die die Seite seit zehn Jahren stemmen. Lehnt euch zurück und nehmt ein Kaltgetränk zur Hand, jetzt wird’s ein wenig ausführlicher. 😉

Glückwunsch ihr drei, mit 39 Punkten habt ihr mit dem Abstieg schon vor dem letzten Saisonviertel gar nichts mehr am Hut, und nach vorne geht vielleicht sogar noch was. Wie hat der Klub das nach dem Beinahe-Durchmarsch und dem daran anschließenden Aderlass auf der Trainerbank und im Kader geschafft?
Frauke: Natürlich ist die Leistung von Tim Walter und seinem Team nicht zu unterschätzen. Er leistet gute Arbeit, hat ein Spielsystem etabliert, das modern, vielleicht etwas risikoreich, und vor allem unberechenbar sowie dominant ist. Das macht den Fußball bei Holstein nochmal attraktiver als er es unter Markus Anfang war. Dann haben wir mit der Verpflichtung einiger junger Talente wie Janni Serra und Mathias Honsak, beziehungsweise etablierter guter Spieler wie Hauke Wahl oder Jae-Sung Lee ein ordentliches Händchen bewiesen. Daneben war vielleicht gerade der Umbruch unser „Glück im Unglück“ gewesen. Schließlich sind mit dem Trainerteam, Drexler, Czichos und Ducksch Schlüsselfiguren des letztjährigen Erfolges, aber eben auch in der Relegation Geschlagene gegangen. Und damit potenziell verkopfte Mannschaftsteile. Neuer Trainer und neue Leistungsträger heißt zugleich, dass der Frust der Niederlage nicht in den Köpfen ist. Nach einer verpassten Relegation kann so ein Umbruch ein Vorteil sein – bei uns scheint es das zumindest sein.

Matthias: Selbst wenn es einen Umbruch im Team gab, und das Spielsystem verändert wurde, gibt es ja auch Kontinuität. Der Verein an sich musste sich schließlich nicht neu erfinden. Es hat sich unter Spielern und Verantwortlichen sicherlich rumgesprochen, dass in Kiel seriös und unaufgeregt gearbeitet werden kann. Dazu sind die infrastrukturellen Gegebenheiten (abgesehen von der Dauerbaustelle Stadion – aber das kennt man am Bölle ja derzeit auch) des Trainingsgeländes hervorragend. Selbst wenn der Verein den vor einigen Jahren eingeschlagenen Weg beibehält, werden trotzdem immer Innovationen und Einflüsse von außen zugelassen. Das schafft ein gutes Arbeitsklima in dem viel möglich ist. Dazu zählt, dass die KSV finanziell seit Jahren solide aufgestellt ist. Ohne dass sich die Hauptsponsoren ins Sportliche einmischen.

Ihr habt Coach Tim Walter und sein Spielsystem bereits angerissen. Er hat vor seiner Verpflichtung nie jenseits des Jugend- oder Viertligafußballs trainiert. Im kicker thematisierte KSV-Manager Fabian Wohlgemuth am Montag ebenfalls Walters neue Spielidee, ohne sie auszuführen. Worin unterscheidet sie sich von der von Markus Anfang?
Martin: Beide Trainer eint zunächst einmal, dass sie sehr auf Dominanz setzen und gerne den Ball haben wollen. Für mich hat Anfang noch etwas mehr aufs Umschaltspiel gesetzt, während bei Walter gefühlt sämtliche Positionen deutlich höher stehen als bei anderen Zweitligisten. Für den Spielaufbau sorgen nicht der Sechser oder der Achter, sondern die beiden Innenverteidiger, die auf Höhe der Mittellinie stehen.
Bei Walters Spielweise gibt es kaum hohe Bälle, Standards werden flach ausgeführt. Vermutlich bewertet er die Wahrscheinlichkeit spielerisch zum Abschluss zu kommen höher, als wenn man einen Standard einfach in den Fünfer schlägt und da ins Duell gehen muss. Alle Positionen haben eine deutlich größere Rolle im Spielaufbau. Selbst Stürmer Janni Serra lässt sich ganz oft nach hinten fallen und baut das Spiel mit auf.
Bei Tim Walter ist es wirklich wichtig, dass sich jeder Spieler im Spielaufbau engagiert und nicht nur darauf wartet, dass andere Mannschaftsteile die Aufbauarbeit für ihn leisten. Markus Anfang hat es natürlich ebenfalls geschafft, mit der Mannschaft Dominanz aufzubauen, aber Tim Walter steht mit der Mannschaft – wie erwähnt – nochmal deutlich höher und hat höhere Ballbesitzwerte.

Stimmt, aus dem Hinspiel ist mir tatsächlich das sehr hohe Anlaufen präsent.
Martin: Walter kombiniert gnadenloses Pressing mit Ballbesitzfußball. Vorher war es eher so, dass man entweder presst, den Ball erobert und schnelle Umschaltmomente erzielt, um zum Torerfolg zu kommen. Oder man versucht, ein bisschen tiefer zu stehen und wenn man den Ball hat, viel auf Ballbesitz zu gehen und so zum Tor zu gelangen. Das sind immer die beiden verschiedenen Herangehensweisen, die in der 2. Liga üblich sind. Tim Walter kombiniert sie mit einem Selbstbewusstsein, das man wirklich selten sieht. Das macht sein Spiel so unglaublich dominant. Einmal hast du in diesem System die Möglichkeit durch diese riesige Laufarbeit vorne Fehler des Gegners zu erzwingen, den Gegner zuzustellen und damit Ballgewinne zu erreichen. Oder, wenn von hinten Spielaufbau betrieben wird, dann versucht sich Walter den Gegner so zurechtzulegen, dass er zum Erfolg kommt. Das ist schon recht krass. Besonders wenn man sieht, wie viel Erfolg er mit einem Kollektiv hat, das individuell vielleicht nicht so gut aufgestellt ist, wie andere Mannschaften. Als Fazit kann man sagen, Tim Walter hat es diese Saison geschafft, das Team deutlich besser und dominanter spielen zu lassen, als es die Summe der individuellen Qualität eigentlich hergibt.

Tim Walter bemängelte nach dem Spiel gegen Union dennoch, dass derzeit – die zweite Halbzeit gegen Bochum eingerechnet – zu wenig Bälle aufs Tor kommen. Liegt das auch am verletzungsbedingten Fehlen von Kingsley Schindler?
Martin: Vielleicht ein bisschen, denn natürlich hat Kingsley seine Qualitäten. Das eins gegen eins – also quasi aus dem Stand am Gegenspieler vorbei zu kommen – war allerdings noch nie seine Stärke. Wenn er ein bisschen Platz hat, sieht es schon anders aus, aber ich finde, dass es seine Vertreter Franck Evina und Masaya Okugawa dennoch gut machen. Was Kingsley auszeichnet ist seine Präsenz im Zentrum, da er sich als Außenbahnspieler häufig dort einschaltet und den Abschluss sucht. Evina und Okugawa sind dort nicht so präsent und wenn dann eher ungefährlich.
Dass wir im Moment wenige Abschlüsse aufs Tor haben, liegt für mich daran, dass oft der letzte Pass nicht ankommt, dass im Strafraum zu umständlich gespielt wird, und dass wir zu selten aus der Distanz zum Abschluss kommen. Zudem ist der Strafraum bei Flanken oft nicht gut besetzt, oder sie kommen zu ungenau.

Wer sind für euch die wichtigsten Spieler oder Schwungräder im Spiel der KSV?
Frauke: Sicherlich haben wir mit Kenneth Kronholm einen der besten – wenn auch risikofreudigsten – Torhüter der 2. Bundesliga. Bei den Fans sieht man seine Leistung mit gemischten Gefühlen. Dass er im Walter-System quasi als zusätzlicher Defensivmann mitagiert, konnte er relativ schnell adaptieren. Trotzdem hat er seine holprigen Momente, wie zum Beispiel gegen Fürth, als er jenseits seiner eigentlichen Position einen Ball vertändelt und somit dem Gegner die Möglichkeit zum Ausgleich schenkt. Darüber hinaus natürlich unser Kapitän David Kinsombi, dessen schwere Verletzung uns durchaus trifft. So jung er ist, so wichtig ist er spielerisch und charakterlich. In der Hinrunde war natürlich der eben thematisierte Kingsley Schindler nicht wegzudenken. Und auch Serra und Dehm, der in die Fußstapfen eines Patrick Herrmanns treten muss, sind wichtige Männer, die wir nicht missen möchten.

Matthias: Einer der Schlüsselspieler im System Walter ist allerdings Hauke Wahl, der von 2012 bis 2015 schon in Kiel unter Vertrag war, zunächst in der U19, dann als Stammspieler bei den Herren. Zwischenzeitlich in Paderborn, Ingolstadt und Heidenheim, gehörte er vielleicht nicht zu den auffälligsten Persönlichkeiten auf dem Platz. Unter Walter kommt ihm, der mit Dominik Schmidt Innenverteidiger ist, eine besondere Rolle zu. Da das defensive Mittelfeld weit in die gegnerische Hälfte aufrückt, entsteht ein freier Raum, in dem Hauke quasi als eine Art Spielmacher agiert. Auch bei Ballverlusten zieht er sich nicht zwangsläufig komplett zurück. Der Nachteil war, dass besonders zu Beginn der Saison bei individuellen Fehlern oder schlechtem Stellungsspiel die Abwehr quasi mit einem Pass ausgehebelt war. Es ist aber immer wieder krass zu sehen, wie er als 24-Jähriger der Dreh- und Angelpunkt in einem durchaus anspruchsvollen System ist.

Im September heuerte Carsten Wehlmann bei den Lilien an und ist inzwischen zum Sportlichen Leiter aufgestiegen. Auf sein Betreiben hin, landete Dimitrios Grammozis bei den Lilien, was einigen Fans eine zu riskante Verpflichtung war. Welche Rolle übte Wehlmann in Kiel aus und welchen Anteil schreibt ihr ihm am Höhenflug der KSV zu?
Frauke: Carsten Wehlmann war Chefscout bei der KSV und hat somit natürlich seinen Anteil an den Verpflichtungen. Bei uns ist er in der Rolle aber relativ wenig präsent gewesen. Als Scout ist man schließlich viel unterwegs. Wie groß sein Anteil ist, vermag ich nicht einzuschätzen, aber er wird sicherlich seinen Teil dazu beigetragen haben.

Matthias: Da „Wehle“ zudem lange für die Gegnerbeobachtung zuständig war, dürfte er definitiv ein gutes Netzwerk und viele Spieler „auf dem Zettel“ haben. Neben diesen Tätigkeiten war er zudem für längere Zeit der Torwarttrainer der Störche. Und zwischen den Pfosten hatten wir eigentlich immer einen sicheren Rückhalt. Auch daran wird er seinen Anteil gehabt haben.

In Bielefeld haben wir am vergangenen Sonntag wieder gesehen, dass die 98er mit einer pressenden Mannschaft nicht wirklich gut zurechtkommen. Wir ihr beschrieben habt, kann Kiel das perfekt. Das dürfte also auch für Samstag zunächst einmal das Mittel der Wahl sein, oder?
Frauke: Wie gesagt spielt Walter sein System sehr selbstbewusst. Sofern keine Veranlassung besteht davon abzuweichen, wird er das auch gegen Darmstadt so spielen lassen. Inwieweit das den Lilien große Probleme bereiten wird, das werden wir am Samstag sehen.

Ich danke euch sehr für eure ausführlichen Antworten!


Auf die Ohren

Aus fünf mach zwei: Am Montagabend bestritten Daniel und Mike ganz alleine unsere jüngste Folge und machten sich dabei so ihren ganz eigenen Reim auf den Premierenauftritt der 98er unter Dimitrios Grammozis. Und zum Schluss wagten sie es sogar noch im Namen von uns anderen zu tippen. Tss, tss, tss: KLICK


Jung & …

Los geht’s am Wochenende wieder bei den NLZ-Teams der 98er. Die U19, die als Tabellenvierter in der Hessenliga der Musik bereits etwas hinterherhechelt, muss am Sonntag zum FV Biebrich. Die U17 startet als souveräner Tabellenführer ihrer Hessenliga in den zweiten Saisonabschnitt. Zum Auftakt empfangen sie am Sonntag Rot-Weiß Walldorf. Die U15 rangiert in ihrer höchstmöglichen Spielklasse, der Regionalliga Süd, an Position 5 und möchte am Samstag beim Tabellenletzten, der TSG Wieseck, nichts anbrennen lassen.

… verliehen

Kaum etwas zu sehen gab es am letzten Wochenende von den in die 3. Liga verliehenen Spielern. Einzig Orrin McKinze Gaines II durfte sich auf dem Platz präsentieren, als er für Zwickau in den letzten 20 Minuten ran durfte. An der Niederlage seiner Farben gegen Lotte änderte das nichts. Julian von Haacke fehlte beim SV Meppen weiterhin verletzungsbedingt, während Romuald Lacazette bei 1860 München erneut keinen Platz im Kader fand. Eine Liga tiefer fehlte Silas Zehnder bei Viktoria Aschaffenburg ebenfalls zum Pflichtspielauftakt im Jahr 2019 bei Greuther Fürth II. Eine Premiere erlebte Patrick Banggaard beim AE Pafos. Am ersten Spieltag der Abstiegsrunde wurde der Däne erstmals in dieser Spielzeit vorzeitig vom Platz genommen. Nach einer knappen Stunde war für ihn bei der 0:3-Heimniederlage gegen Oroklinis Schluss.