Insider im Gespräch über … Victor Pálsson (#4)

Den meisten Lilienfans wird es nicht anders ergangen sein als mir: Mit Victor Pálsson haben die 98er gestern ein relativ unbeschriebenes Blatt an Land gezogen! Der Isländer mit familiären Wurzeln in Mosambik hat in seiner Karriere allerdings schon allerhand gesehen. Nach Stationen in England, den USA, den Niederlanden, Schweden, Dänemark und der Schweiz zieht es den 27-Jährigen nun also nach Darmstadt. Der defensive Mittelfeldspieler war zuletzt Kapitän beim FC Zürich – wie schon zuvor bei Esbjerg fB – und errang mit seinem Team im Mai den Pokalsieg im Nachbarland. Für Island hat er bislang zehn Länderspiele bestritten. FCZ-Fan Silvan Lerch schreibt unter anderem für das Fußballmagazin „zwölf“ und weiß einiges über den Neuzugang zu berichten.

Silvan, Victor Pálsson verstärkt die Lilien. Was um Himmels Willen reitet jemanden, der in einem Monat mit seinem Klub in der Europa League gegen Neapel spielen kann, zum Tabellen-13. der 2. Bundesliga zu wechseln?
Ob Pálsson gegen die SSC Napoli gespielt hätte, muss mit einem Fragezeichen versehen werden. Und dies könnte auch schon zu einem der Gründe für diesen Transfer führen: Euer Neuzugang hat zwar mit seinem physischen Element den FC Zürich während seines anderthalbjährigen Engagements zweifellos stabilisiert. Seine Präsenz im defensiven Mittelfeld oder, vereinzelt, als Innenverteidiger half, die Mannschaft nach dem Wiederaufstieg in die oberste Schweizer Liga 2017 sofort zu stabilisieren. Gleichzeitig verhält es sich aber so, dass der aktuelle Trainer, der seit vergangenem Februar im Amt ist, technisch beschlagene Akteure vorzieht. Und da sieht er (der Ex-Werderaner und -Stuttgarter Ludovic Magnin) andere Spieler wohl im Vorteil.
Als Pálsson im Herbst wegen einer Verletzung länger ausfiel, hat er auf ein spielerisch stärkeres Duo auf der 6 und 8 gesetzt – und wäre von diesem Gespann vermutlich auch in Zukunft nicht mehr ohne Weiteres wieder abgerückt, obwohl er auf Rotation setzt, um unberechenbar zu bleiben. Zudem stoßen aus dem eigenen Nachwuchs hoffnungsvolle Talente auf Pálssons Position nach – und diese will der Klub, getreu seiner Philosophie, fördern. Insofern hätte der Isländer eine Stammplatzgarantie, wie er sie in der ersten Saison besaß, im Frühling kaum mehr gehabt. Und schließlich kann ich mir gut vorstellen, dass Pálsson mit 27 Jahren die 2. Bundesliga als Sprungbrett erachtet, um dereinst noch einen (letzten) «grossen» Transfer zu machen.

Das klingt also nach Zwischenschritt. Wie schätzt Du die Chancen ein, dass sich Victor Pálsson dennoch hier, bei einem deutschen Zweitligisten, als Leistungsträger etabliert?
Da viele Mannschaften in der 2. Bundesliga – aus meiner Warte – einen eher körperlich betonten Fussball spielen und die technisch-filigrane Note weniger gewichten, passt Pálsson als Typ sicherlich gut hierher. Bei einem Team wie Darmstadt kommen seine Stärken wahrscheinlich besser zum Tragen als längerfristig in Zürich.
Das Niveau, denke ich, sollte für ihn nicht das Problem sein. Pálsson agiert spielintelligent – wohl ähnlich wie Aytaç Sulu. Beide sind nicht die grössten Techniker, doch wissen sie sich mit ihrer Routine und Schläue gut auf dem Feld zu bewegen, um gegnerische Angriffe zu unterbinden. Das wird ihm in Darmstadt hoffentlich ebenso zugutekommen, falls zum Beispiel das Umschaltspiel überfallartig erfolgen sollte.
Weiter ist Pálsson ein Leadertyp, der sich schnell akklimatisiert. So hat er in Zürich innerhalb kürzester Zeit erstaunlich gut Deutsch gelernt. Er wird sich auch bei euch sofort zurechtfinden – und Verantwortung übernehmen wollen. Etwas überspitzt formuliert, kann man wohl sagen, dass beim FCZ sein Abgang in der Kabine mehr ins Gewicht fallen wird als auf dem Spielfeld.

Darmstadt-Coach Dirk Schuster spricht von einem körperlich präsenten und zweikampfstarken Spieler, der defensive Stabilität bringen soll. Auch er selbst beschreibt sich als kopfball- und zweikampfstark. Siehst Du Pálssons Stärken damit treffend zusammengefasst oder siehst Du weitere Vorzüge in seinem Spiel?
Die von Schuster und ihm selbst verwendeten Attribute treffen sicherlich zu. Punktuell gelangen ihm zudem durchaus spielöffnende Pässe, obwohl er – wie erwähnt – viel mehr über die Physis in die Partie «kommt».
Ganz generell ist Pálsson ein sehr mannschaftsdienlicher Akteur: ein Leithammel, der immer alles gibt. Aufgrund seiner Einstellung kann er den Jungen als Vorbild dienen. Nicht zufällig erhielt er in Zürich schnell die Kapitänsbinde. Alle wussten (auch er!), dass er nicht der beste Spieler ist, aber ein überaus wichtiger für Teamgeist und -gefüge.

Am Ball dürfen wir also nicht die höchsten Ansprüche an ihn haben. Ist er denn ein torgefährlicher Spieler, zumindest bei Standardsituationen?
In 59 Pflichtspielen für den FCZ erzielte er gerade einmal drei Tore. Pálsson hat zwar einen harten, präzisen Schuss und einen passablen Kopfball, aber das defensiv orientierte Spiel behagt ihm eindeutig mehr als das offensive. Das hängt auch damit zusammen, dass seine Qualitäten am Ball – wie gesagt – überblickbar sind.

Ich erkenne immer deutlicher das typische Beuteschema von Dirk Schuster. In welchen Spielsituationen ist er Dir eher negativ aufgefallen?
Negativ fällt er nicht auf, zumal er trotz seines körperlichen Spiels fair agiert. Beim FCZ hat er weder eine Gelb-Rote noch eine Rote Karte kassiert, sondern «bloß» acht Verwarnungen. Man darf einfach keine falschen Erwartungen an ihn haben. Pálsson ist kein Sechser, der sich aus jeder Drucksituation mit unwiderstehlichen Dribblings oder Doppelpässen auf engstem Raum befreien kann. Er verkörpert als Abräumer im Defensivverbund nun mal eher eine «destruktive» 6. Doch genau diese Eigenschaften hat Dirk Schuster ja hervorgehoben. Er sieht in ihm also genau das, was er suchte – und vielleicht gar ein wenig sich selbst. Schuster gehörte bekanntlich nicht gerade zu den technisch am meisten beschlagenen Verteidigern in der Bundesliga-Geschichte …

Das hast Du schön ausgedrückt. Du hast schon erwähnt, dass Pálsson beim FC rasch zum Kapitän aufgestiegen ist und ein Leithammel war. Ist er also ein richtiger Charakterkopf?
Ja, absolut. Er tritt auf dem Spielfeld sehr dominant auf, kann ein Team führen – und ist dennoch kein dampfplaudernder Lautsprecher. Pálsson gab sich in der Öffentlichkeit immer sehr umgänglich. Er wirkte bescheiden und glaubwürdig. Seine eher hart wirkende Erscheinung mit Kurzhaarschnitt, strengem Blick und vielen Tattoos trügt also bis zu einem gewissen Grad.

Hat er sich in seinen 18 Monaten beim FCZ einen bestimmten Ruf oder ein bestimmtes Image erworben?
In Zürich blieb er eineinhalb Jahre: Das ist entscheidend länger als bei mehreren seiner vorgängigen Stationen, wo es ihn meist nur während einer Saison hielt. Insofern galt er hier schon fast als «geläuterte» treue Seele… 😉 Allerdings hatte es bereits im Sommer kurzzeitig Gerüchte gegeben, es könnte zum Abgang kommen. Passend zu seinem Spiel standen damals (unterklassige) englische Teams im Vordergrund der Spekulationen.

Verbindest Du eine bestimmte Anekdote mit Victor Pálsson?
Nein, aber was allgemein positiv auffiel, ist sein Verhalten nach Spielschluss. Als Kapitän marschierte er auch da stets vorneweg – und stramm in die Fankurve. Ob bei Sieg oder Niederlage, Pálsson wusste immer, bei wem er sich für den Support von den Rängen zu bedanken hatte.

Wunderbar. Herzlichen Dank, Silvan, für Deine ausführlichen Auskünfte. Ich kann mir nun definitiv ein besseres Bild von unserem Neuzugang machen!