#D98FCU: „Dass vor Darmstadt gegen Union auf lange Bälle von Union hinzuweisen ist, ist … neu“

Da ist sie im Saison-Endspurt doch noch: Die vor einem Dreivierteljahr von Dirk Schuster ausgegebene „sorgenfreie Spielzeit“. Die letzten drei Partien ohne Aufstiegschance oder Abstiegskampf anzugehen, ist im Lilienuniversum alles andere als üblich. Der Trainereffekt hatte sich beim SVD also tatsächlich eingestellt. Dimitrios Grammozis holte in acht Spielen 14 Punkte. Hinzu kommt der Dreier von Interimstrainer Kai Peter Schmitz gegen Dresden. Seit der Entlassung von Dirk Schuster verdoppelten die Lilien nicht nur ihre Punktausbeute pro Spiel, sie halbierten auch noch die Anzahl der Gegentreffer! Die 98er empfangen zum vorletzten Heimspiel der Saison Union Berlin. Die Hauptstädter und deren Fans sind nach dem 2:0 gegen den HSV guter Dinge und wollen im Aufstiegskampf weiterhin am Ball bleiben.

In 98 Worten

Der Stolz und die Erleichterung sprangen den Lilienspielern förmlich aus dem Gesicht, als sie sich nach Spielende vor den mitgereisten Lilienfans in Müngersdorf fotografieren ließen. Zurecht: Sie hielten nach der Pause dem Dauerdruck der Kölner stand, hatten einen überragenden Keeper zwischen den Pfosten, aber auch den einen entscheidenden Gegenstoß zu Ende gefahren. Der Glaube der Spieler an ihre Fähigkeiten ist unter Dimitrios Grammozis deutlich gewachsen. Gegen Teams auf Augenhöhe spielen sie pragmatisch, gegen höher eingeschätzte Gegner frech. Die Siege gegen Kiel, Hamburg und zuletzt Köln belegen dies eindrucksvoll. Das Duell gegen Union Berlin verspricht überaus interessant zu werden.


Der Kontrahent hat das Wort

Daniel ist Journalist und sein Klub heißt Union Berlin. Er steckt hinter dem Union-Taktikblog Eiserne Ketten, spricht beim Union-Podcast Textilvergehen mit – von dem es mittlerweile das Geschichts-Spin-off Und Niemals Vergessen gibt – und schreibt zu guter Letzt auch noch für Spielverlagerung.

Daniel, Glückwunsch zum Sieg im Aufstiegskampf gegen den HSV. Jetzt heißt es bei den Lilien zwingend nachzulegen. Wie hoch schätzt Du die Gefahr ein, ausgerechnet am Böllenfalltor zu stolpern?
Nach (betont) diesem Spiel gegen Hamburg habe ich in diese Union-Mannschaft (wieder) ungefähr grenzenloses Vertrauen. Und sie ist, sorry, eigentlich besser als Darmstadt. Also schätze ich die Gefahr eher gering ein und klopfe zugleich auf Holz.

Zur Länderspielpause im März hatten sich Köln, der HSV und Union an der Spitze schon ein wenig abgesetzt. Nun stagnierten alle drei an den darauffolgenden fünf Spieltagen. Wieso mutiert das Aufstiegsrennen zum Schneckenrennen? Offenbarten die Spitzenteams zuletzt Defizite, die sie länger kaschieren konnten?
Ich bin zuerst immer ein Anhänger der These, dass Mannschaften Spiele verlieren, weil ihre Gegner Dinge gut machen. Das galt in unserem Fall für Gegner wie Paderborn, Regensburg und Fürth. Sie alle haben gegen Union phasenweise dominiert, weil sie gewisse Dinge gut gemacht haben.
Ich weiß nun nicht, wie genau ich hier auf Hamburg (die einfach nicht sehr gut sind) und Köln (bei denen irgendwie die Spannung gefallen ist) eingehen kann und will. Da bleib ich lieber bei Union. Man konnte zwischendurch den Eindruck gewinnen, dass die Mannschaft von Urs Fischer für den Rest der Liga deutlich angreifbarer geworden ist. Gerade defensiv hatte Union größere Probleme mit Mannschaften, die ausnutzten, dass Union Spiele gewinnen muss. Das geschah mit Kontern, allerdings oft aus einer guten Spielanlage heraus. So gelang es zum Beispiel Regensburg, zwei Stärken von Union auszuhebeln: das Gegenpresssing und die Restverteidigung.

Was versteht man darunter?
Damit meint man, dass Situationen geklärt werden, in denen der Ball zwar irgendwie in die Gefahrenzone gespielt wird, die Verteidigung aber nicht wirklich geschlagen ist.

Das passt ein wenig zu meinem Eindruck, dass ich Union als Team sehe, das nicht unbedingt dominant spielt, aber sehr stark auf Spielkontrolle aus ist. Sehe ich das korrekt?
Hm, ehrlich gesagt weiß ich nicht genau, wie Du den Unterschied zwischen dominant und kontrollierend verstehst. Vielleicht hat dieser Eindruck damit zu tun, dass die Stärken von Union eher zu einer Mannschaft mit weniger Spielanteilen passen.

Aaron Hunt durfte am Sonntag erfahren, wie unangenehm es sein kann, gegen Union (hier Michael Parensen) zu spielen. (Bildquelle mit Dank an Steffi: http://www.textilvergehen.de/2019/04/29/union-berlin-ist-wieder-da-2/)

Genau, Union dominiert den Gegner nicht mit viel Ballbesitz und zwingt ihm damit sein Spiel auf. Aber Union erscheint mir ein Team zu sein, dass auch ohne Ball die Kontrolle über das Spiel hat.
Okay, das mag schon sein. Die Stärken sind jedenfalls – neben dem schon genannten Gegenpressing, das sich unauffällig im Laufe der Saison herausgebildet hat – vor allem lange Bälle. Die sind wirklich eine Stärke, und nicht nur ein Merkmal von Unions Spiel, weil es in vielen Spielen wirklich gut gelang sie festzumachen und Anschlussaktionen zu finden. Dass vor einem Spiel Darmstadt gegen Union auf die langen Bälle von Union hingewiesen werden muss, ist aber auch … neu. Dagegen war das Freilaufen im Aufbau öfter ein Problem, selbst zuletzt gegen den HSV.

Union ist das einzige Team, das weniger als 30 Gegentore kassiert hat. Gegen den HSV war zu sehen, dass die Arbeit im Mittelfeld hieran auch einen gehörigen Anteil hat. Was macht Union im Defensivverhalten so stark?
Ich habe vorhin die Restverteidigung erwähnt. Da war die ganze Union-Abwehr in dieser Saison sehr gut, auch und grade individuell. Mit dem Bonus, dass sich Michael Parensen, der immer ein besonders lautes „Fußballgott“ bekommt, gegen Hamburg gut eingefügt hat.
Im Mittelfeld sieht das ähnlich aus, hier gewinnt gerade Manuel Schmiedebach einfach unfassbar viele Bälle. Und Grischa Prömel hat eine enorme Dynamik und deckt sehr, sehr viel Raum ab, sodass Union eben den Druck im Mittelfeld überall hoch halten kann. Dazu kommt in den besseren Spielen noch ein wechselhaftes, aber gelegentlich aggressives Pressing beim Spielaufbau und das schon angesprochene Gegenpressing.

Apropos Grischa Prömel: Er ist mir gegen den HSV wirklich positiv aufgefallen. Wer sind für dich weitere absolute Leistungsträger im Team?
Ja, Prömel ist sehr gut, aber die Frage ist tatsächlich schwer zu beantworten. Denn bei Union gibt es in dieser Saison sehr viele Leistungsträger. Keeper Rafal Gikiewicz ragt da vielleicht am weitesten heraus, weil er nicht nur wirklich exzellent hält, sondern auch charakterlich sehr offensiv die Mannschaft führt. Aber auch Polter, Schmiedebach, Friedrich, Hübner und zuletzt wieder Trimmel sind Leistungsträger. Und auch einige jetzt noch nicht Genannte spielen eine gute Saison. Etwa Andersson, Abdullahi sowie manchmal Kroos und Gogia.

Geile Stimmung in der Bude. Der Sieg gegen den HSV ist Fakt. (Bildquelle, erneut mit Dank an Steffi: http://www.textilvergehen.de/2019/04/29/union-berlin-ist-wieder-da-2/)

48 geschossene Tore nach 31 Spielen sind wiederum okay, aber auch nicht herausragend. Gesetzt den Fall, Union bleibt Dritter, wäre das Deines Erachtens ausreichend, um den Bundesliga-16. in Verlegenheit zu bringen?
Nun, wenn Augsburg gegen Stuttgart sechs Tore schießt, dann sollte für Union auch was drin sein. Außerdem hat Union in den Spielen gegen die Mannschaften von der Tabellenspitze und im Pokal in Dortmund relativ stabil Tore gemacht, wenngleich das in einigen dieser Partien sehr großer Effizienz zu verdanken war. Ich denke dennoch, dass Unions Offensive zu Spielen passt, in denen sie Außenseiter sind, und in denen sie aber viel Druck in die eigene Aktionen bekommt.

Union ist zuhause eine Macht. Auswärts verliert das Team zwar kaum, gewinnt aber auch selten. Woran mangelt es im Vergleich zu den Heimspielen auf des Gegners Platz?
Naja, Unentschieden wie in Fürth oder Dresden gab es in den letzten Monaten ja auch zuhause gegen Regensburg oder Bielefeld. Ich würde aber gar nicht ausschließen, dass der psychologische Vorteil qua Publikum bei Union größer ist als bei anderen. Gerade am Wochenende beim Spiel gegen den HSV konnte man das spüren. Das war aber auch für Union-Verhältnisse besonders und wahrscheinlich das Spiel mit der frenetischsten Atmosphäre seit mindestens vier, fünf Jahren.
Außerdem könnte die Diskrepanz speziell in der Offensive damit zu tun haben, dass die Produktivität bei Union – mehr als bei anderen Mannschaften – davon abhängt, wie viele Spieler sich wie weit nach vorne mit einschalten, insbesondere was die Außenverteidiger betrifft. Vielleicht ist man zuhause eher bereit, diese Investition zu tätigen.

Du hast anfangs erwähnt, dass manche Mannschaften gegen Union sehr gut agiert haben. Wie müssen sich die Lilien zuhause präsentieren, um Union so richtig vor Probleme zu stellen?
Vor allem müssten sie die richtige Balance gegen das Pressing von Union finden. Dieses erwarte ich am Sonntag relativ aggressiv. Just dann sollte man selbstverständlich Ballverluste vermeiden. So wie beim 1:0 am Sonntag, als der HSV in eine ganz gute Pressingfalle getappt ist. Als Gegner darf man die Bälle aber auch nicht zu gedankenlos nach vorne schlagen, da sie sonst ein gefundenes Fressen für die Innenverteidigung sind und die Grundlage für schnelle Gegenangriffe sind.

Daniel, besten Dank für Deine ausführlichen Anworten!


Auf die Ohren

Kai, Daniel und ich besprachen am Montag die Tormusik in Müngersdorf, die Getränkeversorgung im Stadion und natürlich das so wunderbar gewonnene Spiel. Daniel geriet dabei – ganz untypisch – richtiggehend ins Schwärmen. Besonders würdigten wir rückbetrachtend den Trainer, alle Spieler und einen Joker, dem man das Siegtor nur aus vollstem Herzen gönnen kann: KLICK


In eigener Sache

Seit einigen Wochen ist mein aktualisiertes und erweitertes Lilien-Buch (111 Gründe, den SV Darmstadt 98 zu lieben) nun schon auf dem Markt. Hierfür stand mir u.a. mit Jerôme Gondorf ein langjähriger Leistungsträger der Lilien Rede und Antwort. Am Mittwoch traf ich ihn in Freiburg, um ihm zum Dank sein Exemplar auszuhändigen.

Das Buch ist bei diversen Darmstädter Buchhandlungen erhältlich. Schaut vorbei, schaut rein und wenn’s Lust auf mehr macht, kauft euch eins. Danke!


Jung & …

Die U15 der Lilien siegte am Samstag in der Regionalliga Süd gegen den FSV Frankfurt mit 1:0. Am Mittwoch zog sie dann bei der Eintracht nach 1:0-Führung mit 1:3 den Kürzeren. Hinter dem VfB Stuttgart, Hoffenheim und eben der Eintracht liegt das Team aber weiter auf einem starken 4. Rang. Am Samstag geht es gegen den Nachwuchs des SC Freiburg im direkten Duell darum, diesen Platz zu sichern.

Die bereits als Hessenligameister feststehende U17 testete am vergangenen Wochenende zunächst gegen Rot-Weiß Darmstadt und behielt gegen deren U19 mit 2:0 die Oberhand. Am Mittwoch bekam das erfolgsverwöhnte Team dann seine Grenzen aufgezeigt. Im Hessenpokal-Viertelfinale kam es zum Kräftemessen gegen den Bundesliga-Nachwuchs der Eintracht (derzeit hinter Bayern und Hoffenheim Tabellendritter), das mit 7:1 deutlich für die Gäste ausfiel. Im Ligaspielbetrieb geht es am Samstag zur SG Kelkheim.

Die U19 reihte in ihrer Hessenliga den enttäuschenden Ergebnissen der Rückrunde ein weiteres hinzu. Auch die vierte Auswärtspartie 2019 ging verloren. Zuletzt beim JFV Viktoria Fulda mit 1:2. Am Sonntagmorgen besteht im Heimspiel gegen Ligaprimus Offenbacher Kickers die Möglichkeit endlich wieder positiv aufhorchen zu lassen.

… verliehen

Nichts Neues in Liga 3: Julian von Haacke (SV Meppen) ist weiterhin verletzt und Romuald Lacazette (1860 München) hat sich im Punktspielbetrieb nachhaltig ins Abseits manövriert. Entsprechend fehlten beide am letzten Spieltag erneut auf den Spielberichtsbögen. Offensivmann Orrin McKinzeGaines II (FSV Zwickau) wirkte immerhin in der letzten halben Stunde mit. Besser lief es für Silas Zehnder (Viktoria Aschaffenburg), der in der Regionalliga Bayern beim 0:0 in Bayreuth über die volle Distanz auf dem Feld stand. Am Dienstagabend folgte ein weiterer Einsatz im Halbfinale des BFV-Pokals gegen die favorisierten Löwen aus München. Beim 3:2-Erfolg wurde der Youngster zur Halbzeit ausgewechselt. Sieben Minuten zuvor war tatsächlich Romuald Lacazette auf Seiten der Sechzger eingewechselt worden und sendete damit ein kleines Lebenszeichen in die Fußballwelt. Patrick Banggaard (AE Pafos) war zuletzt mit seinem Klub in der Abstiegsrunde Zyperns nicht gefordert, da die Eliteklasse auf der Mittelmeerinsel pausierte.